Bild © Ian HANNING/REA/laif
‚Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?‘ Leicht macht es Jerome Loubry dem Leser mit der Antwort auf diese Frage Im „Erlkönig“ mit der Antwort auf diese Frage nun wirklich nicht. Loubry taucht dafür tief ein in die Psyche menschlichen Unbehagens. Gekleidet wird diese spannend gestrickte Geschichte in eine Sprache, die ihresgleichen noch suchen müsste, samtig und reich an Metaphern.
Villere-sur-Mer ist ein kleiner verträumter Küstenort in Frankreich. Der Ort erwacht aus seinem Dornröschenschlaf, als an der Küste eine junge Frau gefunden wird. Ihr Kleid ist blutüberströmt. Die einzige Wunde, die sie aufweist, ist ein tiefer Schnitt an ihrem Handgelenk. Schnell wird klar, dass das Blut, welches an ihr haftet, nicht das ihrige ist. Daniel Bouchard, Inspektor der örtlichen Polizei, und eine Psychologin nehmen sich der jungen Frau an. Sie sagt, sie heiße Sandrine und sei Journalistin. In den letzten Tagen habe sie sich auf einer der Küste vorgelagerten Insel befunden. Nach dem zweiten Weltkrieg habe sich dort ein Ferienlager befunden, in dem traumatisierte Kinder eine unbeschwerte Zeit verbringen sollten. Ihre Großmutter habe dort gearbeitet und auch dort gelebt. Die Kinder seien jedoch alle von einem Monster namens „Erlkönig“ getötet worden. Er verweigere den verbliebenen Bewohnern das Verlassen der Insel. Sandrine habe die Insel besucht, da ihre Großmutter kürzlich verstorben sei und sie sich um den Nachlass kümmern müsse. Wie sie dem „Erlkönig“ entkommen konnte, daran könne sie sich nicht mehr erinnern. Sandrine wirkt glaubhaft intelligent und aufgeräumt, jedoch merklich traumatisiert. Bei der Überprüfung ihrer Angaben stellt sich heraus, dass sie die Namen offenbar frei erfunden hat und ihre Geschichte ein sogenanntes Refugium ist. Bei schweren langanhaltenden Traumata schafft das Gehirn sich eine Scheinwelt, in der es jedoch meist Schnittpunkte zur Realität gibt. Der Name eines Bauern ganz in der Nähe des Ortes ist in diesem Fall der Schnittpunkt. Bouchard, selbst traumatisiert durch das Verschwinden seiner Tochter einige Jahre zuvor, sucht das Gehöft des Bauern auf und Abgründe tun sich auf. Der Bauer liegt erschlagen im Keller des Martyriums, das Sandrine jahrelang erleiden musste. Doch was ist Refugium und was die Wirklichkeit?
Ullstein Taschenbuch
400 Seiten, 10,99 €
Aus dem Französischen übersetzt von Alexandra Baisch.
ISBN: 9783548063751
Jérôme Loubry, geboren 1976, lebt nach Stationen im Ausland heute in der Provence. Für Die Hunde von Detroit, sein Debüt, hat er 2018 den Prix Plume libre d’Argent gewonnen. Der Erlkönig wurde 2019 mit dem Prix Cognac du meilleur roman francophone, einem der renommiertesten Krimipreise Frankreichs, ausgezeichnet. Er gilt als der aufsteigende Stern am französischen Krimihimmel.

